Quantcast
Channel: Schwäbische: Feeds: Tuttlingen
Viewing all articles
Browse latest Browse all 107107

Ein Knochenjob

$
0
0

Ravensburg / sz - Zwischen Fleischwolf, Messern und dicken Keulen ist der Arbeitsplatz von Philipp Sontag aus Kißlegg. In sechster Generation führt der 34-jährige Metzger einen Familienbetrieb. Schlachten, zerlegen und verwursten ist sein Geschäft. Die Gefahr sich an den scharfen Messern, Maschinen oder Sägen zu verletzen ist groß. Doch Philipp Sontag hat noch alle seine Finger.

Es sei vor allem Übung und Geschick. „Man muss hundertprozentig mit den Gedanken bei der Sache sein, sonst ist es gefährlich“, sagt Sontag. Die Schnitte mit den scharfen Messern müssen sitzen, die Hand darf niemals in die Maschinen geraten. Um Verletzungen vorzubeugen, gibt es etliche Vorschriften für die Arbeit in der Metzgerei. Die Maschinen funktionieren oft nur mit geschlossenem Deckel, beim Zerlegen sind stich- und schnittfeste Kettenhandschuhe Pflicht. Dennoch: Vor kleineren Schnitten oder Rissen in den Händen sind Metzger nicht gefeit. Und auch Philipp Sontag hat sich schon einmal mit dem Messer in den Arm gestochen oder die Finger an Knochensplittern aufgeschnitten. Fast 60 meldepflichtige Unfälle je 1000 Vollarbeiter in der Fleischwirtschaft sind laut Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe im Jahr 2013 passiert. Damit liegt die Unfallquote bei Metzgern deutlich höher als Beispielsweise bei Bäckern (30,5 Unfälle je 1000 Vollarbeiter) oder im Gastgewerbe und bei Schaustellern zusammen (31,4 Unfälle je 1000 Vollarbeiter).

Rutschige Böden

„Übung macht den Meister und üble Verletzungen durch Messer sind selten“, so Sontag. Nicht ganz ungefährlich sind auch die rutschigen Fliesenböden. Denn die Maschinen, Tische und das Werkzeug müssen regelmäßig gereinigt werden. Der Boden ist ständig nass, jeder Raum hat einen Abfluss auf dem Boden. Mit speziellen griffigen Schuhen schützt sich Sontag vor dem Ausrutschen. Laut den Zahlen der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe sind Stolper-, Rutsch- und Sturzunfälle die zweithäufigste Unfallursache in der Fleischwirtschaft. An erster Stelle steht die Arbeit mit den Handwerkzeugen.

Philipp Sontag ist in der Metzgerei aufgewachsen. Seit 1848 ist der Betrieb in Familienhand und wurde immer vom Vater an den Sohn weitergegeben. So kennt Sontag die Abläufe und auch die Schlachtung schon seit seiner Kindheit. Weil Fleisch in Supermärkten immer günstiger angeboten wird, gibt es kleine Metzgerbetriebe, in denen noch geschlachtet wird, immer seltener. Es rentiert sich oft nicht. Auch wegen der vielen Vorschriften sei es nicht mehr so wirtschaftlich, sagt Sontag. Massentierhaltung und -schlachtung ist billiger und die Nachfrage nach dem günstigen Fleisch ist da. Trotzdem bleibt Philipp Sontag seiner Linie treu. Mit der eigenen Schlachtung, seinem Laden, einem Partyservice, der Schlachtung von Privattieren und der speziellen Schnittführung nach amerikanischem Vorbild sei seine Metzgerei in jeder Nische vertreten, so Sontag. Neben dem Kundenstamm, den er von seinem Vater übernommen hat, gewinne er so auch immer wieder neue Kunden.

Schlachttag ein Mal pro Woche

Einmal pro Woche ist bei Sontags Schlachttag für ein Rind und etwa acht bis neun Schweine. Die Rinder kommen von „Feierabendlandwirten“, wie Sontag sie nennt – sozusagen Hobbybauern, die einige Tiere halten, ihr Geld jedoch in anderen Berufen verdienen. Die Schweine wachsen in einem Zucht- und Mastbetrieb „um die Ecke“ auf. Dort werden mehrere hundert – und nicht wie bei Massenbetrieben viele tausend – Tiere großgezogen. „Für mich ist es wichtig, dass das Tier an Menschen gewöhnt ist.“ Nur dann sei die hauseigene Schlachtung überhaupt möglich. Die Tiere könnten so ruhig und ohne Stress in den Schlachtraum geführt werden. Wären die Tiere nicht zahm, seien sie „eine riesen Gefahr und ich würde ihnen nicht Herr werden“, sagt Sontag. Ein Rind wiegt immerhin bis zu 800 Kilogramm und hat Kraft.

Tierarzt kontrolliert Fleisch

Am Abend vor der Schlachtung kommen die Schweine bei Sontag an und schlafen noch eine Nacht im Hänger vor der Tür. Dann seien sie nicht so gestresst und dadurch sei auch das Fleisch besser, so Sontag. Die Schweine werden mit Strom betäubt und dann ausgeblutet, die Rinder mit einem Bolzenschuss erlegt. Gleich im Anschluss zerlegt Sontag die Tiere. Ein Tierarzt kontrolliert die Schweine und Rinder vor der Schlachtung und begutachtet das Fleisch danach. „Es ist ein Knochenjob“, sagt Sontag. „Das mag keiner mehr machen.“ Deshalb mangele es ihm an Fachkräften und Nachwuchs. Sontag selbst mache der Beruf Spaß. „Ich bin sehr handwerklich“, sagt er und: „um Metzger zu sein, muss man Tiere lieben“, denn es gelte „dem Tier sein Ende so angenehm wie möglich zu machen“, sagt Sontag.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 107107