Ravensburg / sz - Der Geist von Spiez, geformt am Thunersee vor dem "Wunder von Bern" 1954, wird spätestens vor jeder Weltmeisterschaft aus den Fußball-Annalen hervorgekramt. Auch vom Geist von Malente, wo sich Breitner, Müller und Beckenbauer in einer Sportschule irgendwo im Nirgendwo von Schleswig-Holstein auf den WM-Titel 1974 einschworen, ist häufig die Rede.
Wenn Herbert Rösch, zwölf Jahre lang Präsident des Württembergischen Fußballverbandes, in der Sportschule in Ostfildern vom "Geist von Ruit" spricht, klingt das eher nach einer Miniaturausgabe eines Mythos’ – dabei waren in der Filderschmiede unter anderem Ottmar Hitzfeld, Jürgen Klinsmann und verschiedenste Nationalmannschaften zu Gast.
Das größte Bauvorhaben seit 30 Jahren
Aktuell erhält die architektonisch in die Jahre gekommene Ruiter Sportschule einen neuen Anstrich: Bis Juni 2016 soll ein neues Campusgebäude für rund neun Millionen Euro fertiggestellt werden, im kommenden Juli werden dann schon die Schiedsrichter der U19-Europameisterschaft in den neuen Schlafsälen nächtigen. Die EM findet vom 11. bis 24. Juli in Baden-Württemberg statt, unter anderem mit Spielorten in Stuttgart und an der Kreuzeiche in Reutlingen.
Am Dienstag trafen sich Verbands- und Politikvertreter sowie Architekten zum Richtfest des neuen Campus. Als "größtes Bauvorhaben seit 30 Jahren" bezeichnet der aktuelle WFV-Präsident Matthias Schöck das Gebäude, der mit Empfang, Verwaltung, Unterrichtsräumen und Lehrkräftezentrum auf vier Stockwerken hochgezogen sind. Die Kosten für den 3000 Quadratmeter großen Neubau auf den 16 Hektar Sportschulegelände teilen sich der WFV, der Württember- gische Landessportbund (WLSB) und die Sport- und Jugendleiterschule Ruit-Nellingen GmbH. Kultusminister Andreas Stoch (SPD) sprach beim Richtfest davon, dass das "spröde Credo eines Doppelzimmers" in der Vergangenheit zwar oft zu Teambuilding geführt habe, eine Modernisierung "des Vorzeigeprojektes" aber unvermeidbar sei. Und dennoch: Trotz Verjüngungskur und der Tatsache, dass die Fußballprofis von heute das Fünf-Sterne-Haus dem Nostalgiegefühl von knirschenden Betten vorziehen, hat das Renommee der Sportschule Ruit kaum gelitten.
Sepp Maier mochte die Kantinen-Dame
"2014 waren vor der WM die Chilenen da, 2002 waren es Argentinien und auch Deutschland mit Michael Ballack", erzählt Chefkoch Krätzer, – sein Vorname ist laut eigener Aussage Betriebsgeheimnis –, der seit 25 Jahren mit seiner Frau in der Sportschule sowohl Amateure als auch Profis bekocht.
Aus dem Nähkästchen will er nicht plaudern, nur eine Geschichte zu Sepp Maier gibt er preis. Einmal sei die Kaffeemaschine ausgefallen, also musste seine Frau die Spieler bedienen. Sepp Maier lehnte zunächst ab. "Als er jedoch meine Frau sah, hat er seine Meinung kurzerhand geändert", erzählt Krätzer: "So, jetzt möchte ich doch einen, Mädchen – weil ich dich so gerne laufen sehe, hat er gesagt." Ruit war bereits früh auch Anziehungspunkt für russische und ukrainische Mannschaften, die die in den 80er-Jahren noch rare Rasenheizung und die gute Physiotherapie schätzten. "Auch die Lage ist super: Fünf Minuten fährt man nach Esslingen, fünfzehn Minuten bis nach Stuttgart und zehn Minuten bis zum Flughafen", sagt Ehrenpräsident Rösch.
Von Ruit beeindruckt wurde auch der heutige Leipziger Trainer Ralf Rangnick: Bei einem Duell zwischen Dynamo Kiew und Viktoria Backnang, vom damals 26-jährigen Schwaben trainiert, traute dieser seinen Augen kaum, als die Mannschaft von Walerij Lobanowski seine Backnanger an die Wand spielte. Rangnick war gleich so beeindruckt, dass er mehrfach nach Ruit hochfuhr, um sich vom ballorientierten System des Ukrainers Ideen für seine eigene Spielphilosophie zu holen.
Mit dem neuen Campus stellt die Sportschule die Weichen für die Zukunft. Und wer weiß: Vielleicht verhilft der aufgefrischte "Geist von Ruit" ja dem ein- oder anderen Nachwuchsprofi zu einer erfolgreichen Karriere – die Region Stuttgart würde fußballerische Erfolgserlebnisse jedenfalls sehnlichst erwarten.