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Erwin Glonnegger feiert 90. Geburtstag

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Ravensburg / sz - Heute feiert ein Mann 90. Geburtstag, auf den die Ravensburger, aber auch die Aulendorfer wahrhaftig stolz sein können: der international bekannte und hoch geschätzte Spiele-Forscher, Sachbuch-Autor und Spiele-Vermarkter Erwin Glonnegger. In seiner geradezu sprichwörtlichen Bescheidenheit gibt er zwar zu bedenken, er habe doch nur Volksschulbildung. Doch er ist der lebende Beweis dafür, dass man auch so ein imponierendes Lebenswerk schaffen kann.

Bei Fachleuten in aller Welt und auch bei den Medien ist der Nestor des Spiels ("Spiele-Papst" hört er nicht so gerne) keineswegs vergessen. Das beweisen zahlreiche Auszeichnungen – zuletzt der "Dau Barcelona Award", der ihm 2013 für sein Lebenswerk zuerkannt worden war. Zudem gibt es immer wieder Anfragen, ob er für das eine oder andere Interview zur Verfügung stehen könne. Denn Erwin Glonnegger, der gebürtige Aulendorfer, ist nicht nur in Sachen Spiele äußerst kompetent, sondern auch ein wichtiger Zeitzeuge, was die Zeit des Nationalsozialismus betrifft.

1925 in Aulendorf geboren, verlor er früh den Vater, der 1931 starb. Aber er fand einen Lehrvater, der ihn stark beeinflussen sollte: den Aulendorfer Reise- und Versandbuchhändler Josef Rieck. Dieser war ein Gegner der Nazis und machte dem zunächst begeisterten Pimpf Erwin klar, was Hitler bedeutete. Rieck hatte den Mut, verbotene Literatur zu führen. "Manchmal kamen auch Briefe von Sophie Scholl. Schöne weiße Kuverts, in denen die Flugblätter der Weißen Rose steckten, die wir lasen und an Vertraute weiter verschickten", erinnerte sich der Jubilar 2008 in einem SZ-Beitrag.

Nach der Verhaftung der Geschwister Scholl und dem misslungenen Hitler-Attentat 1944 mussten der Lehrherr und sein inzwischen ebenfalls zum Nazi-Gegner gewandelter Lehrbub befürchten, ebenfalls verhaftet zu werden. Doch mit Glück und Geschick sind sie damals einer Falle der Gestapo entgangen. Dass Erwin Glonnegger alles andere als ein begeisterter Soldat war, nachdem ihn die Wehrmacht eingezogen und in Frankreich eingesetzt hatte, versteht sich. In amerikanischer Kriegsgefangenschaft musste er erleben, dass viele Kameraden dort nach wie vor fanatische Hitler-Anhänger blieben und weiter an den "Endsieg" glaubten, andersdenkende Gefangene sogar Opfer von deutscher Lynch-justiz wurden. Kaum hatte Deutschland aber vor nunmehr 70 Jahren kapituliert, hängten die Fanatiker ihr Mäntelchen in den Wind und gaben sich fortan als lupenreine Demokraten.

Nach dem Krieg erhielt er beim Otto Maier Verlag die Chance seines Lebens. Bis zu seiner Pensionierung 1985 war er 35 Jahre lang Programmleiter für Gesellschaftsspiele im Ravensburger Spieleverlag. Klassikern wie "Memory" (1959), "Malefiz" (1960), auch "Fang den Hut" verhalf er zum Durchbruch. Tausende von Spielen hat er auf den Markt gebracht, auch selbst welche entwickelt. Die Ravensburger Hobbyserie, Taschenbücher und weitverbreitete Spielesammlungen tragen seine Handschrift, sowie der Einstieg in das Geschäft mit Puzzles. Früh erkannte er, dass sich der Spielemarkt internationalisierte. Eng arbeitete er mit renommierten Autoren zusammen, hielt aber auch den Kontakt zu Fachhändlern.

Narrenzunft Aulendorf kommt

Auch Fachbücher gab Glonnegger heraus, etwa das Nachschlagewerk "Spiele-Buch – Brett- und Legespiele aus aller Welt, Herkunft, Regeln und Geschichte". Kriegsspiele sucht man darin allerdings vergebens. Auch Computer-, Killer- und Ballerspiele lehnt der Experte strikt ab.

Schließlich kann der Jubilar auch für sich in Anspruch nehmen, zu den "Vätern" von "Ravensburg spielt" zu gehören. Das lag nahe, denn schließlich versteht es kaum jemand so gut wie er, die Menschen, insbesondere Kinder, zum Spielen zu animieren. Spielerunden mit ihm waren stets gefragt. Als er noch im Mehrgenerationen-Haus in der Herrenstraße lebte, bot er sie dort an. Inzwischen ist der geistig nach wie vor rege Jubilar, der in seinem Freundeskreis eher zu den Stillen gehört, aber viel zu erzählen weiß, ins Pflegeheim der Gustav-Werner-Stiftung umgesiedelt. Die Beine wollen nicht mehr. Gelassen findet er sich damit ab. Heute wird wohl unter anderem die Narrenzunft Aulendorf, die er begründet hat, ihren Ehrenzunftmeister ehren.


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