Quantcast
Channel: Schwäbische: Feeds: Tuttlingen
Viewing all articles
Browse latest Browse all 107107

„So können Vorschriften ausgehebelt werden“

$
0
0

Ravensburg / sz - Das Transatlantische Freihandelsabkommen der Europäischen Union mit den USA (TTIP) wird derzeit in Brüssel ausgehandelt. Der Vorwurf der Gegner: Europäische Standards können gesenkt und demokratische Prinzipien ausgehebelt werden. Tatsächlich kann das Abkommen auch negative Folgen für die Kommunen haben. Welche das sein können, darüber hat sich SZ-Redakteur Philipp Richter mit dem Europakoordinator des Landkreises Ravensburg Albert Miller unterhalten.

Herr Miller, nehmen wir mal folgendes Szenario an: Das TTIP-Abkommen ist unterzeichnet. Plötzlich wird die oberschwäbische Trinkwasserversorgung von einem Unternehmen in Chicago gesteuert und die Abfallentsorgung ist in texanischen Händen. Für wie realistisch halten Sie das?

Im Moment halte ich das für wenig realistisch. Allerdings haben wir zurzeit auch zwei große Unbekannte. A: Die Dokumente sind uns nicht bekannt und nicht zugänglich. B: Die zuständige EU-Kommissarin Cecilia Malmström hat gewisse kommunale Zuständigkeiten aus den Verhandlungen vorerst ausgeklammert. Da wir aber keine Einblicke in die Dokumente haben, bewegen wir uns im Vagen.

Welche kommunale Zuständigkeiten sind denn ausgeklammert?

Möglicherweise wird es beim TTIP ähnlich aussehen wie beim Abkommen mit Kanada (Ceta). Hier sind hoheitliche Aufgaben wie die Polizeiarbeit und auch die Wasserversorgung außen vor. Es konzentriert sich auf die Wirtschaft. Öffentliche Vergabeverfahren sind aber auch mit drin. Das wiederum berührt die Kommunen.

Konkret heißt das was?

Wenn eine Gemeinde oder eine Stadt beispielsweise Dienstleistungen ausschreibt, müssen diese ab einem bestimmten Schwellenwert europaweit ausgeschrieben werden. Das heißt, ein Unternehmen aus einem anderen EU-Land hat die Chance, den Auftrag zu bekommen. Zum Beispiel: Der Schwellenwert bei Bauprojekten liegt bei 5,1 Millionen Euro. Liegen die Kosten eines Projekts darüber, muss dieses EU-weit ausgeschrieben werden. TTIP könnte dazu führen, dass wir beim Überschreiten von Schwellenwerten auch in den USA und in Kanada ausschreiben müssten.

Wenn die Wasserversorgung ausgeschlossen ist. In welchen anderen Bereichen drohen Gefahren?

Die Müllabfuhr und die Abfallverwertung zum Beispiel. Die wird auch von den Kommunen ausgeschrieben und ist wirtschaftlich sehr interessant für den privaten Sektor.

Zum Beispiel für einen Investor aus den USA.

Richtig. Diese würden dann die Abfallentsorgung übernehmen können, indem sie Unternehmen aufkaufen oder gründen. Da sich Investitionen aber lohnen müssen, würden die Investoren schauen, wie sie ihre Gewinne erhöhen ...

... oder das Unternehmen entscheidet sich, bestimmte Strecken nicht mehr zu fahren, weil sie sich nicht rentieren – zum Beispiel abgelegene Höfe oder Weiler. Auch die Abfallgebühren könnten erhöht werden.

Wie könnten dann Städte und Gemeinden so einer Entwicklung entgegenwirken?

Man kann natürlich die Ausschreibung an Vorschriften koppeln, die die Kommune vorher ausarbeitet. Es gibt in diesem Fall aber möglicherweise Schiedsgerichte, die dann eingeschaltet werden können. Das ist der Knackpunkt: Der Investor hat dadurch die Möglichkeit, gegen den Staat zu klagen, wenn Auflagen seinen Ertrag schmälern. Allerdings funktioniert dieser Weg nur in eine Richtung. Der Staat kann nicht gegen den Investor klagen. Dabei geht es vor allem um Schadensersatzforderungen. Vorschriften können so ausgehebelt werden.

Eine europaweite Ausschreibung gibt es ja bereits. Die ausgeschriebenen Aufträge der hiesigen Kommunen werden aber meist an deutsche Firmen und Firmen aus der Region vergeben. Wie wahrscheinlich wäre es denn, dass im Landkreis Ravensburg tatsächlich ein US-Unternehmen investieren würde?

Ich weiß nicht genau, wie viele europäische Investoren bereits engagiert sind, die hier infrage kommen. Was Ausschreibungen anbelangt: Die Erwartungen haben sich bislang nicht bestätigt, dass sich viele Firmen aus der EU bewerben würden. Es kann natürlich sein, dass es europäische Firmen mit Ablegern in Deutschland gibt. Die treten dann als deutsche Firmen auf, sind aber ausländische. Das könnte auch bei den USA der Fall sein, und die deutsche Firma zieht im Auftrag des amerikanischen Mutterunternehmens vor das Schiedsgericht. Außerdem ist es so: Was für US-Investoren in Europa möglich ist, ist umgekehrt für europäische Unternehmen in Amerika möglich. Ob solche Schiedsgerichte allerdings eingerichtet werden, ist noch sehr umstritten.

Wie kann der Kreis Ravensburg durch TTIP dann profitieren?

Das hängt davon ab, was in den Vertrag hineingeschrieben wird. Wenn die Daseinsvorsorge bei den Kommunen verbleibt, ist das gut. Auch wenn die regionale Wirtschaft wie erwartet von TTIP profitieren sollte, ist das gut für den Landkreis, die Städte und Gemeinden.

Wenn wir zum Ausgangspunkt des Gesprächs zurückkehren: Wann werden die ersten US-Unternehmen hier investieren?

Ob und wann US-Unternehmen hier investieren werden, weiß ich nicht. Es sollte aber dabei bleiben, dass die Kernaufgaben und Leistungen der Kommunen für ihre Bürger nicht ausgehebelt werden. Der Landkreis Ravensburg ist im Deutschen Landkreistag engagiert und der setzt sich in Brüssel zusammen mit dem Deutschen Städtetag, dem Deutschen Städte- und Gemeindebund sowie dem Verband kommunaler Unternehmen für unsere Interessen ein. Deswegen hoffe ich, dass die EU ein gutes TTIP-Abkommen aushandeln wird, das kommunale und wirtschaftliche Interessen vernünftig unter einen Hut bringt.

Auf einen Blick: Das ist das TTIP-Abkommen

Die Abkürzung TTIP steht für „Transatlantic Trade and Investment Partnership“, auf Deutsch: Transatlantisches Handels- und Investitionsabkommen. Ziel ist es, Zölle, unsinnige Vorschriften oder Hürden für Investitionen abzubauen, damit der Handel zwischen den beiden Wirtschafts-Supermächten EU und USA stärker floriert. Das soll zusätzliche Milliardenumsätze und Millionen neue Jobs schaffen. Nach Einschätzung aus EU-Kreisen hat US-Präsident Barack Obama mittlerweile dem Handelsabkommen TPP mit zwölf asiatischen Staaten, das 2015 unterschrieben werden soll, oberste Priorität eingeräumt. Ein ähnliches Abkommen mit Namen Ceta (Canada-EU Trade Agreement) ist zwischen der EU und Kanada fertig ausgehandelt. TTIP steht stark in der Kritik. Vor allem Organisationen wie Attac und Campact machen dagegen mobil. Ihre Kritikpunkte: Rechtsstaat und Demokratie werden ausgehebelt. Auch die katholische Kirche warnt davor. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, schrieb in einem Beitrag für das Magazin „Focus“: „Ein Abkommen kann nur dann ethisch akzeptiert werden, wenn es auch den Armen und Schwachen Perspektiven eröffnet.“ Außerdem fürchten Kritiker um die Kultur-, Medien- oder Bildungspolitik im europäischen Sinne. „Denn auch die Hochschulen sind, zumindest der Tendenz nach, bedroht“, schrieb „Die Zeit“. (dpa/ric)


Viewing all articles
Browse latest Browse all 107107