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In Hinzistobel setzt man auf „soziale Sicherheit“

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Ravensburg / sz - Für Thomas Mönig ist Resozialisierung ein zentrales Motiv. Der Leiter der Ravensburger Justizvollzugsanstalt (JVA) Hinzistobel ist überzeugt, dass neben technisch-baulicher Sicherheit und strikter Einhaltung der Regeln die menschliche Zuwendung von zentraler Bedeutung ist. Sie sorge für besseres Klima im Gefängnis – und damit auch für weniger Gewalt.

Ein Vorfall im Jugendgefängnis Adelsheim Ende August hat die Öffentlichkeit aufgeschreckt. Zwei Gangs sind dort beim Hofgang zunächst aufeinander und dann auf Vollzugsbeamte losgegangen. Sechs Verletzte blieben auf der Strecke. Ist so ein Gewaltausbruch auch in Hinzistobel denkbar, gar schon geschehen? Mönig, seit über zwei Jahren JVA-Direktor, hat bislang nicht im Ansatz eine solche Gewaltorgie erlebt. Seit 1982, seit in Hinzistobel unter den Vorzeichen der Resozialisierung speziell junge Strafgefangene auf ein straffreies Leben vorbereitet werden, habe es keinen Vorfall in diesem Ausmaß gegeben. Dies hat Mönig von altgedienten Mitarbeitern erfragt: „Adelsheim war ein absolut singulärer Vorfall.“

Trauriger Alltag im Vollzug

Allerdings will er nichts beschönigen: „Das Thema Gewalt unter Gefangenen beschäftigt uns immer wieder... Es ist trauriger Alltag im Vollzug, dass mit Gewalt zu rechnen ist.“ Dabei erzählten erfahrene Kollegen, dass sich die Form verändert habe. Früher kam es, bisweilen unter dem Einfluss von Alkohol, öfters zu Rangeleien, zu Schlägereien. Heutzutage spiele neben körperlicher Gewalt die subtilere Form psychischer Quälerei eine größere Rolle, würden Konflikte versteckter ausgetragen. Und statt Alkohol, der im Gefängnisalltag kaum noch vorkomme, seien härtere Drogen und Drogengeschäfte immer mal wieder im Spiel.

Ein Gefängnis ganz „clean“ zu halten, ohne Drogen und ohne Gewalt: Das ist ein Wunschtraum, räumt Mönig ein. Trotz baulich-technischer Sicherheit, auf die bei allen Neubaumaßnahmen in Hinzistobel größter Wert gelegt wird, und strikter Überwachung, auch mit Drogenspürhund: Gerade die JVA Hinzistobel kann nicht hermetisch dicht gemacht werden. Jeder Strafgefangene hat die Pflicht, einer Arbeit nachzugehen, in den JVA-Werkstätten oder als Freigänger „draußen“. Speziell den jungen Strafgefangenen wird eine Ausbildung nahegelegt und in vielen Handwerksberufen und etlichen Schulklassen ermöglicht.

„Da kann es keine lückenlose Überwachung geben“, so Mönig. Tagtäglich sei ein JVA-Bediensteter – und das kann auch eine junge Vollzugsbeamtin sein – mit 30 bis 40 Mann in einer Haftabteilung allein auf dem Stockwerk oder auf dem Weg zum Arbeitsplatz. Deshalb setzt der Anstaltsleiter zur Gefahrenabwehr nicht vorrangig auf Einsatzpläne und -mittel – die gibt es im Falle eines Falles – sondern auf „soziale Sicherheit“. Die Vollzugsbeamten sind angehalten, „respektvoll“ mit den Gefangenen umzugehen, sie mit ihren Anliegen ernst zu nehmen, denn, so Mönig: „Der Ton macht die Musik“.

Auf klare Einhaltung der Rollen und Regeln werde gleichwohl geachtet. Aktuell hat der Stuttgarter Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) deutlich gestiegene Gewaltbereitschaft bei Häftlingen beklagt (SZ, 24. September) und als Gegenmaßnahme ebenfalls „deeskalierende Personalpolitik“ gefordert. Überbelegung ist ein Risiko, dass die latente Gewalt im Knast offen ausbrechen kann. Zumindest dieses Risiko ist derzeit minimiert, denn Hinzistobel ist zwar voll, aber nicht überbelegt. Das bedeutet Einzehaftraum oder Zwei-Mann-Zellen, kaum Mehrbetten-Hafträume. Und auf der Warteliste für Einzelzellen weiter nach vorn zu rutschen ist, so Mönig, „ein lohnendes Ziel“.

Spezielle Problemgruppen, die besonders zu Gewalt neigen, möchte der Gefängnisdirektor nicht benennen. Daran, dass rund ein Drittel der Strafgefangenen keine deutsche Staatsangehörigkeit hat, lasse sich das Thema Gewalt nicht festmachen. Entlocken lässt er sich, dass bis vor Kurzem die zweite Generation der Spätaussiedler, besonderes Kopfzerbrechen bereitet hat durch Gewaltbereitschaft, Abschottung und undurchsichtige Drogengeschäfte. Nicht abstreiten will er, dass junge Männer türkisch, arabisch, südosteuropäischer Abstammung eine ebenso explosive Mischung sein können wie Häftlinge aus dem Rocker-Millieu (Hells Angels & Co.). Ein Chance sollen sie alle bekommen, um künftig straffrei zu leben – und auch im Knast vor Gewalt verschont zu bleiben.


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