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Faszination und Begeisterung, wenn es brennt

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Ravensburg / sz - Insgesamt 14 Jahre lang saß sie wegen Brandstiftung in Haft und anschließender Sicherheitsverwahrung. Nachdem die 47-Jährige aus dem Kreis Ravensburg freigelassen werden musste, schnitt sie ihre elektronische Fußfessel durch und zündete kurz vor dem Jahreswechsel den Rewe-Markt in Baienfurt an. Am 22. September beginnt am Landgericht Ravensburg der Prozess gegen die mutmaßliche Täterin. Die Schwäbische Zeitung sprach über den Drang, Feuer zu legen, mit Udo Frank. Der promovierte Psychiater ist Leiter der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie am ZfP Südwürttemberg in Ravensburg-Weißenau.

Wann spricht man von Pyromanie?

Zunächst einmal erfolgt nicht jede Brandstiftung aus Pyromanie heraus. Manche legen ein Feuer aus Rache, aus politischen Motiven, als Versicherungsbetrug oder zur Verdeckung von Straftaten. So in der Annahme: Wenn die Leiche verbrannt ist, kann mir niemand mehr etwas nachweisen. Pyromanie ist eine fachlich umstrittene Kategorie. Die WHO führt sie zwar noch als Diagnose auf, wenn der Betreffende wiederholt Brände legt und kein vernünftiges Motiv vorliegt, aber DEN pyromanen Menschen gibt es nicht.

Was empfinden echte Pyromanen denn, wenn sie ein Feuer legen?

Sie kommen schon vor der Tat in eine erregte Verfassung, erleben dabei oft ein Hochgefühl eigener Macht und empfinden danach Entspannung oder Erleichterung und ein Glücksgefühl.

Das klingt fast nach einer sexuellen Erfahrung.

Manche Brandstifter handeln tatsächlich unter einer Art Zwang, der an abnorme sexuelle Verhaltensweisen erinnert, und können scheinbar kaum anders. Sie empfinden Faszination und Begeisterung, wenn es brennt. Aber das sind nur sehr wenige. Bei manchen ist es ein stummer Hilferuf. Viele Brandstifter leiden unter Störungen des Sozialverhaltens und legen teilweise auch aus einer Misslaune oder Wut heraus Feuer, aus Unzufriedenheit über ihr eigenes Leben.

Handelt es sich dabei um eine Sucht, eine psychische Erkrankung oder etwas anderes?

Offiziell rechnet die WHO die Pyromanie zu den „abnormen Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle“. Dazu gehören zum Beispiel auch Glücksspielsucht oder Kleptomanie, also pathologisches Stehlen ohne vernünftiges Motiv. Bei Brandstiftungsserien liegt nicht selten gleichzeitig eine Alkoholproblematik vor oder eine Intelligenzminderung – früher hätte man gesagt: eine geistige Behinderung.

Wie häufig kommt das eigentlich vor? Wie viele zwanghafte Brandstifter gibt es zum Beispiel im ZfP Südwürttemberg?

Ungefähr zehn Prozent der Patienten in der forensischen Abteilung sind wegen Brandlegungen hier. Die meisten Brandstifter kommen aber in Haft und nicht zu uns. Strafmildernd wirkt es sich nur aus, wenn jemand kaum anders kann, als ein Feuer zu legen. Das ist aber eher seltener der Fall.

Stimmt es, dass überproportional viele Feuerwehrleute Pyromanen sind?

Das Gerücht hält sich hartnäckig, weil jemand, der sich für Feuer begeistert, vielleicht tatsächlich gerne zur Feuerwehr gehen würde. Aber ich habe in meinem Berufsleben schon viele Brandstifter gesehen, und darunter war kein einziger Feuerwehrmann (lacht).

Ist Pyromanie heilbar? Der aktuelle Fall der vorbestraften Brandstifterin, die ihre Fußfessel löste und den Rewe-Markt in Baienfurt anzündete, verweigerte sich ja zuvor offenbar einer Therapie…

Ohne den Fall genau zu kennen, kann ich das schlecht beurteilen. Für mich klingt er eher nicht nach echter Pyromanie. Vielleicht hat sie sich ja über irgendetwas im Rewe-Markt geärgert. Oder sie mag mit der neu gewonnenen Freiheit schlicht überfordert gewesen sein. Die Chance auf Heilung hängt mit dem jeweiligen Störungsbild zusammen. Wenn jemand aus depressiven Verstimmungen heraus Feuer legt, kann er mit Antidepressiva gut behandelt werden. Wenn dieser Zwang aber tief in seiner Persönlichkeit verwurzelt ist, ist die Chance auf Heilung kritisch zu sehen.


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