Ravensburg / sz - Zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilte die erste Schwurgerichtskammer des Landgerichts Ravensburg am Freitag den 24-jährigen Angeklagten wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung sowie Körperverletzung in einem weiteren Fall. Damit endete am elften Verhandlungstag vorläufig die gerichtliche Aufarbeitung einer „verhängnisvollen Begegnung“ am 10. November 2013 in der Ravensburger Unterstadt, die laut Richter Jürgen Hutterer in einer „Orgie der Gewalt“ endete und die beinahe drei jungen Männern das Leben gekostet habe.
„Mensch mit zwei Gesichtern“
Den Angeklagten, der das Urteil ohne sichtbare Regung zur Kenntnis nahm, beschrieb Hutterer als „Mensch mit zwei Gesichtern“. Da sei auf der einen Seite der gute Kumpel und fürsorgliche Freund, der im Laufe der Verhandlung durchaus einen positiven Eindruck hinterlassen habe. Auf der anderen Seite zeige sich aber auch ein rücksichtsloser Schläger, der unter Alkohol zu bedingungsloser Gewaltbereitschaft neige. Dies sei von Zeugen aus dem Bekanntenkreis bestätigt worden. Und deswegen sei er vom Amtsgericht Ravensburg auch bereits zu einer Jugendstrafe verurteilt worden.
In jener Tatnacht sei der Angeklagte auch nicht so betrunken gewesen, dass er sich seiner Aktionen nicht mehr bewusst gewesen sei. Von einer verminderten Schuldfähigkeit könne laut psychiatrischem Gutachten nicht ausgegangen werden. Auch ansonsten käme eine Milderung der Strafe wegen Trunkenheit nicht bin Betracht: „Wer im Wissen trinkt, dass er dadurch gefährlich werden kann, kommt nicht in den Genuss dieser Milderung“, sagte Hutterer.
Die Beweislage sei erdrückend gewesen. Der Angeklagte sei mit seinen Begleitern, zwei Männern und einer Frau, am 10. November gegen 2.45 Uhr auf eine größere Gruppe junger Männer getroffen, die nach einem feuchtfröhlichen Herrenabend in der Ravensburger Unterstadt noch „auf der Suche nach Nahrung“ gewesen – für Hutterer eine typische Begegnung Alkoholisierter. Nach einem Gespräch sei die Stimmung plötzlich gekippt und auf Höhe der Goldgasse bereits aufgeheizt gewesen. Die beiden Gruppen seien dennoch zunächst in verschiedenen Richtungen auseinandergegangen, und „alles wäre friedlich verlaufen“ – hätte nicht irgendeine Bemerkung einen aus der Gruppe des Angeklagten zur Umkehr bewogen. Der habe bereits seine Armbanduhr abgenommen, wie Hutterer ausführte: „Nicht weil ihn eine Silikonallergie plagte, wie später behauptet wurde“. Der Angeklagte sei seinem Freund gefolgt. Die andere Gruppe, die weder mit Beleidigungen noch durch Drohungen provoziert habe, sei von der plötzlich eskalierenden Gewalt völlig überrascht worden.
Vor allem habe mit der Messerattacke niemand gerechnet – die Opfer seien arg- und wehrlos gewesen, wodurch das Mordmerkmal der Heimtücke erfüllt sei. Dem Angeklagten hingegen sei klar gewesen, dass er den Überraschungsmoment aus seiner Seite hatte, als er sich „wie von Sinnen“, so Hutterer, mit geöffnetem Klappmesser plötzlich auf die drei jungen Männer stürzte. Dabei sei ihm gleichgültig gewesen, dass er dabei mehrere Menschen töten könnte. „In barbarischer Weise“ habe er einem Opfer die gesamte Gesichtshälfte zerschnitten und „in völliger Gefühllosigkeit“ dem Schwerverletzten noch einen solch massiven Stich in den Hals versetzt, dass der Kiefer gebrochen wurde. Danach habe er anderen aus der Gruppe Richtung Goldgasse nachgesetzt, um wie von Sinnen gezielt auf zwei weitere Opfer einzustechen. In allen drei Fällen sei es nur glücklichen Umständen zu verdanken, dass die Verletzten nicht folgenschwerer verletzt wurden oder gar an Ort und Stelle verblutet sind. Auf der Flucht habe der Angeklagte dann noch ein weiteres Opfer gezielt mit einem Schlag verletzt.
Besonders verachtenswert sei, dass Anlass und Tat in krassem Missverhältnis stehen, führte Hutterer in der Urteilsbegründung weiter aus: „Die Vorgeschichte gab nicht den geringsten Anlass, den Opfern das Lebensrecht abzusprechen“. Dies erfülle das Mordmerkmal des niederen Beweggrunds. Ein Grund für Notwehr, wie in der Verhandlung zunächst behauptet, sei nicht ansatzweise zu erkennen. Es handle sich um ein Verbrechen des versuchten Mordes tateinheitlich mit gefährlicher Körperverletzung. Wegen des engen zeitlichen Zusammenhangs gehe das Gericht nicht von mehreren Taten aus.
„Kein gnadenloser Killer“
Zum Strafmaß führte der Richter aus, der Angeklagte hätte eine lebenslange Freiheitsstrafe bekommen, wäre nur eines der Opfer zu Tode gekommen. Eine Versuchsmilderung – bis zu 15 Jahren sieht das Gesetz für versuchten Mordes vor – dränge sich nicht unbedingt auf, seien doch immerhin drei Menschen betroffen. Die Rechtsprechung setze allerdings recht hohe Hürden für eine lebenslange Freiheitsstrafe. Für den Angeklagten spreche, dass er nicht sehr planerisch gehandelt habe: „Er ist kein gnadenloser Killer, kein Monster.“ Nur durch das Zustandekommen des Täter-Opfer-Ausgleichs – dem auch die Opfer zustimmten – verschiebe sich der Strafrahmen. Ansonsten hätte sich eine Freiheitsstrafe von 13 Jahren ergeben.
„Sie müssen Ihr Leben in den Griff bekommen, suchen Sie sich andere Freunde, machen Sie eine Lehre“ gab Hutterer dem Angeklagten auf den Weg. „Sie können mit einer Strafaussetzung rechnen, ohne dass es eine Endstrafe gibt.“ Der Verurteilte möchte gegen das Urteil Revision einlegen, sagte sein Verteidiger gegenüber der SZ.