Ravensburg / sz - Muss der Kreis Ravensburg befürchten, als indirekter Miteigentümer des Energieversorgers EnBW eines Tages zig Millionen Euro für den Rückbau der Atomkraftwerke und die Endlagerung von Atommüll zahlen zu müssen? "Das Haftungsrisiko gibt es. Aber es stellt sich die Frage, wie hoch es ist", beschwichtigt Franz Hirth, Pressesprecher des Landratsamtes. Seine Behörde schätze es als gering ein.
Wie berichtet, debattiert der Bundestag derzeit über ein Gesetz, das es Energiekonzernen unmöglich machen soll, sich aus der Verantwortung der Folgekosten der Atomenergie herauszustehlen. Sogenannte "beherrschende Unternehmen" an einem Energiekonzern, der Kernkraftwerke betreibt, sollen für die Kosten des Atomausstiegs haften. Das Gesetz ist eigentlich für Stromriesen gedacht, die auf die Idee kommen könnten, die Nuklearsparte auszulagern und absichtlich in die Insolvenz gehen zu lassen. Es könnte aber auch die neun Landkreise treffen, die über den Zweckverband Oberschwäbische Elektrizitätswerke (OEW) an der EnBW beteiligt sind.
Der OEW gehören 46,75 Prozent der EnBW. Sie ist mit der Neckarpri, einer Beteiligungsgesellschaft des Landes Baden-Württemberg, gleichberechtigter Hauptaktionär, also durchaus "beherrschend". Innerhalb der OEW ist der Kreis Ravensburg mit 21,8 Prozent wiederum größtes Mitglied, gefolgt vom Alb-Donau-Kreis, dem Bodenseekreis, dem Kreis Biberach, dem Zollernalbkreis, dem Kreis Rottweil, dem Kreis Sigmaringen, dem Kreis Freudenstadt und dem Kreis Reutlingen.
Falls die Kosten für den Atomausstieg aus dem Ruder laufen und von der EnBW nicht mehr aufgebracht werden können, wäre der Landkreis Ravensburg also mit haftbar. Muss der Kämmerer deshalb eine Risikorücklage bilden? "Nein", sagt Pressesprecher Hirth. "Rückstellungen muss man erst dann bilden, wenn die Wahrscheinlichkeit höher als 50 Prozent liegt, dass der Fall tatsächlich eintritt. Davon sind wir weit entfernt."
Die jüngste Entwicklung der EnBW sei sogar viel versprechend, meint Hirth. Nach einem sehr schlechten Jahr 2014 habe der Konzern in den ersten drei Quartalen des laufenden Jahres 700 Millionen Euro Gewinn erwirtschaftet, zudem habe das Unternehmen Rücklagen in zweistelliger Milliardenhöhe gebildet, allein acht Milliarden für den Rückbau der Atomkraftwerke und die Endlagerung des hochradioaktiven Mülls. Mit einer stärkeren Konzentration auf regenerative Energien und der bevorstehenden Erweiterung des Geschäftsfeldes auf Gas sei die EnBW jetzt auch breiter aufgestellt.
In der besten Zeit der EnBW (vor der Atomkatastrophe von Fukushima im März 2011 und dem sofortigen Abschalten zweier EnBW-Kernkraftwerke) war die Beteiligung für den Landkreis Ravensburg über die OEW-Anteile noch Gold wert. Mehr oder weniger eine Milliarde Euro. Die EnBW setzte jahrzehntelang auf vermeintlich billigen Atomstrom, mit dem sich astronomische Gewinne erzielen ließen – pro Kernkraftwerk etwa eine Million Euro am Tag. Freilich, weil die Folgekosten der Entsorgung oder gar eines schweren Reaktor-Unfalls nie mit eingerechnet wurden.
An die OEW-Landkreise flossen jedes Jahr Dividenden in zweistelliger Millionenhöhe (2010 zum Beispiel 60 Millionen Euro, davon gut ein Fünftel an den Kreis Ravensburg). Die schmolzen in den vergangenen Jahren zusammen, sollen 2016 auf Null absinken. "Das ist der Energiewende geschuldet", sagt Hirth.
Wäre es rückblickend nicht besser gewesen, die Anteile zu einem Zeitpunkt zu verkaufen, als sie richtig viel wert waren? 2003 hatten die Kreisräte Werner Fricker (Freie Wähler) und Manfred Lucha (Grüne) genau das vorgeschlagen. Der mögliche Erlös wurde damals von ihnen auf eine Milliarde Euro beziffert. Aber ohne die Zustimmung der anderen OEW-Kreistage wäre das nicht möglich gewesen, sagt Hirth, der den Wert eher auf 600 Millionen Euro schätzt. "Außerdem hätte da der Fiskus die Hand aufgehalten, und der Kreis hätte keinen müden Cent mehr an Landesmitteln gesehen. Das wäre ein Pyrrhus-Sieg gewesen."