Ravensburg / sz - Christian Lindner, Bundesvorsitzender der FDP, demonstriert bei der "Schwäbischen Zeitung" liberales Selbstbewusstsein.
Der Hoffnungsträger hat die Zeitung gelesen. Die "Schwäbische Zeitung". Am Morgen, in dem Flugzeug, das ihn nach Friedrichshafen gebracht hat. Nun steht er da, federnd, mit durchgedrücktem Rücken, vor jener Wand im Ravensburger Medienhaus, an der die Seiten der aktuellen Ausgabe hängen. Jeden Morgen versammeln sich hier die Redakteure zur Blattkritik. Heute macht das Lindner, der Hoffnungsträger der FDP. Über den Börsenkrach in China hätte es gerne etwas mehr sein können, auch über den Flüchtlingsgipfel in Stuttgart, dafür weniger über den nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un. Aber die App der "Schwäbischen Zeitung" sei hervorragend, sogar besser, als die der "Süddeutschen Zeitung". Der 36-Jährige wirkt wie aufgezogen, witzelt und schwärmt vom Südwesten, der im Gegensatz zu anderen Gegenden in Deutschland doch richtig Spaß mache.
Sein junges Leben lang Politiker
Es ist Sommer. Da fahren Politiker auf Sommertour. Der Bundesvorsitzende der FDP und Fraktionschef der Liberalen im nordrhein-westfälischen Landtag macht das auch. Vergessen scheinen die Zeiten nach dem Debakel der Bundestagswahl 2013, als die liberale Führungsmannschaft um Philipp Rösler, Guido Westerwelle oder Rainer Brüderle mit versteinerten Mienen, den Tränen nahe, im Thomas-Dehler-Haus in Berlin eingestehen mussten, dass sie gescheitert war. Dass die FDP nicht an der Bundesregierung beteiligt sein würde, dass sie nicht einmal – für das Überleben einer deutschen Partei wichtig – im Deutschen Bundestag vertreten sein würde.
Lindner war eigentlich sein ganzes junges Leben lang Politiker. Er trägt oft Hemden mit Manschettenknöpfen und hat sich – wie Jürgen Klopp – mal blondes Haar auf dem Kopf implantieren lassen. Lindner ist sicher einer der klügsten unter den nicht mehr besonders vielen Liberalen im Land. Man wolle jetzt als FDP das sagen, was man denke und sich nicht vor den Kommentaren der anderen fürchten. Dann folgt ein Feuerwerk an einstudierten, weil oft wiederholten Sätzen, die das neue Gefühl in dieser liberalen Partei beschreiben sollen: Es sei doch nicht gleich liberal, wenn man wirtschaftspolitisch argumentiere, die FDP stehe nicht für das Geschäft per se, sondern für den Markt, man wolle Politik machen, um zu gestalten und Ideen umzusetzen.
Die Partei wachrütteln
Das klingt nach Aufbruch. Nach messianischer Vision. Und natürlich weiß der mit einer Journalistin verheiratete Lindner, dass es einzig und allein an ihm liegen soll, bei den Bundestagswahlen 2017 dafür zu sorgen, dass die vierjährige Abwesenheit aus dem deutschen Parlament ein einmaliger Irrtum des Schicksals bleiben möge. Viele Bürger glauben, dass es neben einer konservativen, einer kommunistischen, einer grünen und einer sozialdemokratischen Kraft im Parlament unbedingt eine liberale Partei brauche. Lindner will die Partei wachrütteln, auch wenn er sagt, er wolle sie "gedanklich in Bewegung halten". Den Leuten in den Ortsvereinen das Gefühl zurückzugeben, dass es sich lohnt für Ideale von größtmöglicher Freiheit, einem schlanken Staat oder dem hohen Gut der Bildung einzustehen.
Wer erinnert sich noch an die FDP, die das Volk verschreckte? Lindner macht die Geschichten über den antisemitischen Fallschirmspringer Jürgen Möllemann oder den anzüglichen Weintrinker Rainer Brüderle vergessen. Weil er ein Programm hat. Das heißt in erster Linie, Selbstbewusstsein zu zeigen und sich gegen die Rechtspopulisten abzugrenzen. "Völkisches Ideengut ist nicht liberal. Dass AfDler bei uns in der Regel nicht willkommen sind, ist deshalb eine Frage der Selbstachtung."
Ob in Großbritannien, der Schweiz oder in Deutschland, an vielen Orten in Europa ist der Liberalismus in die Krise geraten, weil er mit den Rechtspopulisten geflirtet hat und seinem Image als Steuerspar-Partei für Reiche nicht entscheiden entgegengetreten ist.
"Wir gehen unabhängig, aber nicht beliebig in den Wahlkampf", sagt Lindner. In den letzten eineinhalb Jahren haben Menschen die Partei verlassen, die FDPler an den Infoständen auf dem Wochenmarkt wurden bestenfalls verlacht, schlimmstenfalls geschnitten, als wären sie von den Zeugen Jehovas.
Vielleicht braucht es auch jemanden wie ihn, der mit jungenhaft wirkender Unbekümmertheit mit den Altlasten der FDP umgeht: Er sei nicht für allen Unfug der Liberalen in der Vergangenheit haftbar, sagt er, und beruft sich lieber auf Otto Graf Lambsdorff als auf Linksliberale wie Gerhart Baum oder Burkhard Hirsch. Am liebsten ist ihm noch ein ganz unverfänglicher Altliberaler wie Theodor Heuss, der obendrein auch noch Schwabe war. Es wirkt manchmal, als lägen all diese düsteren Geschichten der FDP, vom Selbstmord Jürgen Möllemanns über das Guidomobil bis zur "Anschlussverwendung" von Schlecker-Frauen, in einer Vorzeit, mit der Christian Lindner nichts zu tun hat.
Er war 23, als er in den Düsseldorfer Landtag einzog. Aus welch unbekümmerter Zeit er kommt, merkt man, wenn man ausrechnet, wie alt er war, als die Berliner Mauer fiel. Lindner hat den Kriegsdienst verweigert. Aber nicht etwa, weil er gegen die Nato-Nachrüstung war, sondern weil er als junger Firmengründer seine Geschäftskunden nicht in einer Kaserne hätte empfangen können. Mit der gleichen, bemerkenswerten Leichtigkeit, mit der Lindner über personelle Altlasten der Liberalen hinweggeht, fordert er die Erneuerung der liberalen Idee, zitiert dabei den liberalen Philosophen Ralf Dahrendorf und preist die Liberalen in der Schweiz. Die dortige FDP sei wieder im Aufwind, weil sie sich von den Rechtspopulisten abgegrenzt habe.
Vielleicht konnte nur solch ein Junger die FDP herumreißen. Einer, der die Wechselspiele zwischen sozialliberaler Koalition und christliberalem Bündnis nur aus Erzählungen kennt. Von den Neos, der liberalen Neugründung in Österreich, die mit der verkrusteten, ermatteten Politik in Wien gebrochen hat, hat Lindner sich die Angstfreiheit abgeschaut. Die alten FDPler hatten immer Angst vor einem Fehltritt. Lindner dagegen spricht vom breiten Kreuz und von Furchtlosigkeit.
Es könnte 2017 reichen
Der Mann sitzt zwar im Düsseldorfer Landtag, aber wenn er in den Südwesten kommt, muss er Bundesliga spielen. Etwa, wenn er fordert, die Kosten für Unterbringung und Betreuung von Asylbewerbern dem Bund zuzuschlagen, um auch in Berlin den Druck für eine schnelle Behandlung von Asylanträgen zu erhöhen. Er und die FDP seien für schnellere Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber, würden das Thema aber auf keinen Fall in den Landtagswahlkampf einbringen. Die "Völkerwanderung", wie er es nennt, werde uns noch Jahrzehnte beschäftigen. 75Termine für die FDP hat er jetzt schon im Südwesten. Wenn in Baden-Württemberg für die FDP das weitergeht, was in Hamburg und Bremen begann, könnte es auch 2017 für den Wiedereinzug in den Bundestag reichen.
Bleiben die Liberalen im politischen Sprachgebrauch eigentlich weiter die Gelben? Immerhin hat Lindner auf dem Stuttgarter Dreikönigstreffen 2015 die Farbe Magenta für die FDP eingeführt. "Hier, guckt mal", ruft er, zieht eine Visitenkarte aus dem Sakko und dreht sie um: Da ist viel Gelb zu sehen, nur das weiße Kürzel FDP steht auf magentafarbigem Rechteck. Darüber der blaue Schriftzug: Freie Demokraten.
Das Wort liberal kommt gar nicht mehr vor.