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Vom Leben und Sterben

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Ravensburg / sz - Befreiend kann es wirken, wenn man ganz unverkrampft über Sterben und Tod redet. Richtig gut kann es tun, ein Thema zu diskutieren, das doch extrem zu kontrastieren scheint mit einem Bilderbuch-Sommerabend. So haben es wohl die allermeisten der mehr als 200 Besucher empfunden, die am vergangenen Freitagabend ins Medienhaus von "Schwäbisch Media" nach Ravensburg gekommen waren. "Sterben lassen – nicht töten" lautete das Thema der von Chefredakteur Hendrik Groth moderierten Podiumsdiskussion. Die Veranstaltung war eine Art Vermächtnis des verstorbenen Ravensburger Bundestagsabgeordneten Andreas Schockenhoff. Zwei Tage vor seinem überraschenden Tod im Dezember vergangenen Jahres hatte er mit der Redaktion in Ravensburg Details einer solchen Podiumsdiskussion abgesprochen. Sie war ihm ein Herzensanliegen. Noch in diesem Jahr wird der Deutsche Bundestag eine gesetzliche Regelung zum Thema Sterbehilfe finden müsen. Die Entwürfe gehen vom restriktiven Verbot bis zur weitgehenden Liberalisierung.

Thema verliert seine Düsterkeit

Schockenhoffs Bruder, der Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff, hatte kurzfristig absagen müssen. An seiner Stelle saß Monika Bobbert, Professorin für Theologische Ethik der Universität Luzern, auf dem Podium. Simone Meisert, Teamleiterin des ambulanten Palliativdienstes "Clinic Home Interface", und Franz Müntefering, das bewährte SPD-Schlachtross, komplettierten die Runde.

Letzterem war es zu verdanken, dass das Publikum in den gut anderthalb Stunden immer wieder schmunzelte, ja: lachte. "Jetzt sterbe auch ich. Das hätte ich nicht geglaubt." Franz Müntefering zitiert seinen Vater. Der habe das kurz vor seinem Tod gesagt – Heiterkeit im Saal. Der 75-Jährige sorgt dafür, dass dieses sehr ernste Thema seine Düsterkeit verliert. Der Satz, dass der Tod zum Leben gehöre, verliert seinen Floskel-Charakter. Es ist offensichtlich: Der Mann beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit dem Thema Sterben. Er besucht Hospize und Palliativeinrichtungen, und er ist eine Art Wanderprediger quer durch die Republik, wenn es um Argumente gegen assistierten Suizid oder gar Tötung auf Verlangen geht. Gar nichts hält er davon. Der Sauerländer spricht in der unverwechselbar trockenen, bisweilen knurrigen Art, die ein Markenzeichen von ihm ist: sehr bestimmt, sehr eloquent, sehr überzeugend.

Fragwürdige Selbstbestimmung

Ein gewichtiges Argument im gesellschaftlichen Diskurs ist das Recht auf Selbstbestimmung. Jedem sollte doch zugestanden werden, zu gehen, wenn er nicht mehr leben möchte, heißt es oft. Und warum sollte ihm der Arzt dabei nicht helfen dürfen? Monika Bobbert hat damit ihre Schwierigkeiten. Selbstbestimmung allein genüge nicht. Die Problematik liege darin, dass auch Außenstehende sagen müssten, "das ist unerträglich". Zur Selbstbestimmung komme also "eine Zusatzbewertung von außen". Sie hegt noch weitere Befürchtungen, sollte der ärztlich assistierte Suizid zugelassen werden. Das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient könnte leiden. "Ärzte wären nicht mehr die Garanten dafür, Leben zu erhalten." Patienten würden sich dann fragen: "Was ist das für einer, hat der schon bei einem Suizid geholfen ...?"

Und aus der Schweiz weiß die Theologin, dass eine freizügige Handhabung der Sterbehilfe Auswirkungen auf die gesellschaftliche Stimmungslage haben kann. Es gebe dort "vermehrt den Wunsch, nicht angewiesen zu sein auf andere und lieber im aktiven Teil des Alters zu sterben". Die Sterbehilfeorganisation "Exit" habe im Jahr 2011 ihre Statuten dahin gehend geändert, dass jetzt auch Lebensmüde ohne schwere Erkrankung ihre Dienste in Anspruch nehmen könnten: "Dies zeigt, dass sich etwas verändern kann." Monika Bobbert meint eine schleichende Erosion von Wertvorstellungen.

Simone Meisert, die Praktikerin in der palliativen Versorgung Schwerstkranker, ist "dankbar, dass ich bei ,Clinic Home Interface' arbeiten darf". Sterbebegleitung kann offensichtlich auch das eigene Leben bereichern. Eindrücklich in Erinnerung geblieben ist ihr ein junger Mann, der vor einigen Jahren mit 22Jahren seiner Krebserkrankung erlegen ist. "Er brauchte pro Tag so viele Schmerzmittel wie eine ganze Intensivstation pro Woche." Gegen Ende seines Lebens habe er gesagt, er nehme diese Krankheit an wie einen Bruder – "dem da oben gehen sonst die Engel aus".

Schließlich sei der Patient nach drei Tagen Sedierung "schmerzfrei eingeschlafen". Fazit ihrer jahrelangen Erfahrung mit todkranken Menschen: Der Wunsch nach einem assistierten Freitod verschwindet, wenn man sich Zeit nimmt für die Patienten. Und die moderne Schmerzbehandlung kann Lebensqualität schaffen bis zum Schluss.

Franz Müntefering sieht in der Hospizbewegung und im Ausbau der Palliativmedizin "eine der schönsten und größten Bürgerbewegungen" der vergangenen Jahre. Noch vor 30Jahren "hätte ich Angst gehabt vor starken Schmerzen", diese Angst habe er nicht mehr. Andererseits: Die Hochleistungsmedizin könne das Sterben auch schwieriger machen. "Wo der Körper, der Geist erschöpft ist, muss man Sterben auch zulassen", meint der Mann, der seine krebskranke Frau und seine Mutter bis zum Tod mitbetreut hat. Und dann kommt ein ganz starker Satz: "Schön ist vielleicht das falsche Wort, aber das war schon eine ganz große Zeit. Ich möchte das nicht missen."

"Hat mit Gott nichts zu tun"

Aus dem Publikum kommt die Frage, wie man nicht religiöse Menschen davon überzeugen könne, dass Sterbehilfe ein gesellschaftlicher Irrweg sei. Müntefering antwortet: "Das hat mit Religion und Gott überhaupt nichts zu tun." Er begründet seine ablehnende Haltung allein aus dem Grundgesetz heraus. Zur Menschenwürde und zum menschlichen Leben gehöre, anderen zu helfen und sich helfen zu lassen. Wenn einer argumentiere, er wolle "kein Trottel werden" und deshalb aus dem Leben scheiden, dann stelle sich die Frage: "Was ist das für eine Aussage gegenüber den Trotteln und denen, die sie pflegen?"

Der Abend endet mit kräftigem Applaus.

Ein kurzes Interview mit Franz Müntefering finden Sie als Video im Internet unter

schwaebische.de/muentefering


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