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„Alles, was ich mache, ist doch für diese Stadt“

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Ravensburg / sz

Über 50 Millionen Flüchtlinge irren zur Zeit durch alle Kontinente. Wenn man alle dazurechnet, die auswegloser Armut entfliehen, sind es noch mehr. Nur wenige schaffen es nach Deutschland. Und doch steigt die Zahl der Asylsuchenden. Hüseyin Korkmaz hat die Hürden des Asyls hinter sich und sich eine eigene Existenz aufgebaut.

Es war nicht einmal ein Dorf, der Flecken mit ein paar Bauernfamilien in Südostanatolien unweit der Grenze zu Syrien, in dem Korkmaz geboren wurde. Das öde Land, das am besten noch Schafe ernährt, gehört zur Türkei. Die Bewohner aber betrachten sich als Teil des kurdischen Volkes, zersplittert unter vier Staaten – Iran, Irak, Syrien, Türkei. Sie eint eine alte Kultur, eine Sprache und die Sehnsucht nach einem eigenen Land – Kurdistan.

Als Korkmaz in Ostanatolien lebte, war alles verboten, was kurdisch ist: Tänze, Lieder, Sprache. Wer mit Kurdisch erwischt wurde, wurde von türkischen Polizisten und Lehrern geschlagen. Viele der Jungen schlossen sich dem kurdischen Widerstand an, der bewaffneten PKK. Sie gingen in die Wälder, in die Berge, so auch Korkmaz’ Cousin. Nachts kam die Guerilla in die Dörfer und verlangte, nicht zimperlich, Lebensmittel, Kleider, Geld. Dann kam das Militär, brannte die Felder ab, vernichtete die Lebensmittel, nahm, wo ein Familienmitglied fehlte, die Männer in Sippenhaft. Für Korkmaz und seinen Onkel waren Prügel und Folter Alltag in der Türkei der 80er-Jahre. Die Gewalt eskalierte auf beiden Seiten, die Dörfer in der Mitte. Korkmaz’ Schwester flieht in die Schweiz, eine andere nach England, sein Onkel nach Deutschland.

Der Vater lässt 300 Schafe und einen Traktor zurück und rettet sich in die Großstadt Gazianteb. Er verkauft den Schmuck, den Korkmaz’ Mutter für die künftige Schwiegermutter erspart hatte. Das reicht für einen Schlepper, der einen falschen Pass und ein Flugticket nach Düsseldorf besorgt. Dort landet Korkmaz 1987. Intuitiv die richtige Reaktion. Eine Gruppe deutscher Fussballfans steht am Schalter, der Beamte winkt sie durch, Korkmaz unbemerkt dazwischen. Der erste Asylantrag in Karlsruhe. „Ich war von dem, was ich in der Türkei erlebt hatte, total kaputt.“ Wenigstens ein Bett im Asylheim. Von Karlsruhe wurde er nach Ulm verlegt, dann nach Riedlingen. Im ständigen Angstzustand, abgeschoben zu werden. Immerhin, damals durften Asylbewerber noch arbeiten. Er kriegt ein Fahrrad geschenkt, stellt sich in einer großen Baufirma vor. „Ich kann Steine legen“, sagt er dem Chef, beweist es und schafft vier Jahre, mehr wohl als jeder Schwabe, zu dessen Zufriedenheit. Dann der Ablehnungsbescheid. Die Behörde sieht in der Türkei für ihn keine Gefahr. Der Unternehmer aber bittet das Landratsamt, ihn behalten zu dürfen.

Unternehmer bittet um Duldung

„Er bekommt seinen Lohn, ich zahle sein Zimmer, er kostet den deutschen Staat keinen Pfennig.“ Nichts zu machen. Ein zweiter Asylantrag in Stuttgart. Obwohl längst die offizielle deutsche Haltung war, die Zustände im kurdischen Teil der Türkei seien schlimm – Antrag abgelehnt. Da taucht Korkmaz unter, lebt von der Hilfe kurdischer Freunde und Vereine. Die Polizei erwischt ihn in Schleswig-Holstein. Im Gefängnisbus fährt er zehn Tage lang von Stadt zu Stadt bis Offenburg. Dreieinhalb Monate Knast.

Ein Anwalt bekommt ihn für 500 Euro Kaution frei. In Kleinbeträgen sammeln die Freunde sie zusammen. Die Odyssee durch diese Demokratie hat kein Ende. In Abschiebehaft nach Rottenburg. Korkmaz tritt in Hungerstreik, wird nach zehn Tagen freigelassen, kein Satz einer Begründung. Kein Essen, keinen Cent. Noch einmal untertauchen wagt er nicht. Er hofft, dass er ein Bett im Asylheim in Biberach bekommt, weil er da schon mal war. Die aber wollen ihn nicht, er wird nach Karlsruhe geschickt, weil er da mal einen Antrag gestellt hat. Die wollen ihn auch nicht, verschicken ihn nach Weingarten, in die Lägerlestraße. 400 Flüchtlinge wie die Hühner zusammengepfercht. Noch eine Ablehnung.

Amnesty international nimmt sich seiner an, schreibt an Heiner Geißler. Unmöglich, äußert der in einer offenen Antwort, einen Menschen, der gefoltert wurde, abzuschieben in ein Land, in dem gefoltert wird. Der Fall wird zur bürokratischen Groteske. Der Kurde sei zwar gefoltert worden, befindet ein württembergischer Richter, „aber nicht aus politischen Gründen.“ Und ein Brief von Heiner Geißler beeindrucke ihn nicht. Abschieben! Der Richter wird noch getoppt durch Christen. Sie lehnen ein Kirchenasyl ab, „weil Hüseyin Korkmaz im Gefängnis saß.“

800 Unterschriften

Amnesty international startet eine Petition an den Landtag, die an einem Tag 800 Studenten an den Hochschulen in Weingarten unterschreiben. Der erste Teilerfolg: sechs Monate Duldung. Jetzt aber mit Arbeitsverbot, obwohl ihn der Chef in Riedlingen wieder einstellen würde.

Über sechs Jahre wurde ein Mensch durch diese Republik verschoben. Die Torturen, die ihm in der Türkei angetan wurden, wurden ignoriert, wie auch die Menschenrechtsverletzungen im kurdischen Teil. Wann immer er eine Möglichkeit hatte, hat er gearbeitet, war ein nützliches Mitglied der deutschen Gesellschaft, und das wurde ihm untersagt. Die Bürokratie und die Richter haben mit diesem Flüchtling Kosten verursacht, die unnötig waren. Dennoch hat Korkmaz nicht aufgegeben. Seine Muttersprache, die er in der Heimat nicht lernen durfte, eignete er sich an, dazu Türkisch.

Korkmaz hat, als er dann eine unbefristete Niederlassung hatte, wieder bei der alten Firma in Riedlingen gearbeitet. „Für die habe ich den Putz in der Kirche in Berg gemacht“, erzählt er stolz. Und von den Kollegen hat er ein ordentliches, schwäbisch gefärbtes Deutsch gelernt. Seit 1997 lebt er in Ravensburg, vor vier Jahren hat er sich selbstständig gemacht, als Fliesenleger und Gipser. „Ich habe immer gearbeitet, ich zahle meine Steuern, alles, was ich mache ist doch für diese Stadt. Warum schieben sie Menschen wie uns ab?“

Er hat seine Integration selbst geschafft. Seine Familie auch. Seine kurdisch-türkische Frau macht die Buchhaltung, denn Schreiben fällt ihm schwer. Die türkische Zwangsschule verließ er nach zwei Jahren. Das wären die Hilfen, die Migranten wie er bräuchten: einen Schreibkurs, einen Kurs in Buchhaltung. Die Älteste der Kinder besucht das Albert-Einstein-Gymnasium, der Mittlere spielt Fußball, der Kleinste erzählte im Kindergarten von seinem Papa – der verlegt dort nun die Fliesen. Was seine Kinder bekommen können, hätte auch Hüseyin Korkmaz gerne – den deutschen Pass. Nur den schaffe er nicht, wegen des Deutsch-B1-Tests, den selbst mancher Deutsche nicht schaffen dürfte.


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