Quantcast
Channel: Schwäbische: Feeds: Tuttlingen
Viewing all articles
Browse latest Browse all 107107

"Zeitzeugen": Ravensburg litt unter Luftangriffen

$
0
0

Ravensburg / sz - In den vergangenen Wochen hat die "Schwäbische Zeitung" Erinnerungen von Menschen gesammelt, die das Ende des zweiten Weltkrieges in Ravensburg erlebt haben. Mit dem folgenden Bericht beginnt die neue SZ-Serie "Zeitzeugen". Der Bericht wurde von der Ravensburgerin Christa Amann verfasst, die ihre Erlebnisse von 1945 schildert.

Ich heiße Christa Amann, geborene Caspar, und bin gebürtige Ravensburgerin, Jahrgang 1933. Meine Kindheit und Schulzeit verbrachte ich in Ravensburg in der Goldgasse 6 (Zweiradhaus Amann) und in der Burgstraße 3/1, im Hinterhaus von Burgstraße 3 (früher Schlosserei Kessler, jetzt Hotel Ochsen). Das Gebäude Burgstraße 3/1 wurde später von der Stadt Ravensburg gekauft und abgerissen für Parkplätze. Die Verkäuferin war ich, als Erbin meiner Eltern und einzige Nachfolgerin. So viel zu meiner Person.

Ich erlebte die letzten Tage vor und die ersten Tage nach dem Einmarsch der französischen Besatzungsmacht folgendermaßen: In den letzten Tagen vor dem Einmarsch hatten wir vermehrt Fliegeralarm. Mein Vater war noch im Krieg vermisst und kehrte erst Mitte 1946 aus russischer Gefangenschaft als menschliches Wrack zurück. Da wir, meine Mutti und ich, alleine mit einem Herrn als Zwangseinquartierter im Gebäude Burgstraße 3/1 lebten und dort auch keinen Luftschutzkeller hatten, mussten wir bei Fliegeralarm immer in das Gebäude Burgstraße 3 (Kessler) gehen.

Kurz vor Kriegsende durfte ich (ohne meine Mutti) bei Familie Kessler eine Nacht verbringen, damit ich nicht immer aus dem Schlaf gerissen wurde. Genau in dieser Nacht gab es erst am frühen Morgen Fliegeralarm. Es war ein herrlich blauer Morgenhimmel. Ich schaute zum Fenster hinaus, und oh Schreck, ein Tiefflieger kam auf mich zu. Ich konnte den Piloten im Cockpit sehen, so nah kam er heran. Als er genau über dem Gebäude des Otto Maier Verlags (heute Ravensburger) war, feuerte er los und zielte unter anderem auf einen Radfahrer, welcher die Burgstraße herunter fuhr. Der Radfahrer kam dabei ums Leben. Mehrere Gebäude in der Burgstraße und auch unser Haus hatten zahlreiche Einschüsse von diesem Tiefflieger.

Meine Mutti war ganz verzweifelt, weil sie in diesem Moment nicht bei mir war. Sie wollte durch den Kugelhagel über den Hof zu mir eilen. Der bei uns stationierte Herr hat ihr dabei das Leben gerettet, denn er zog sie blitzschnell in Deckung hinter einen Papierballen aus der Druckerei Stein. Ich war zu Tode erschrocken, als ich den Flieger so weit unten sah. Da schnappte ich den erst einjährigen Sohn der Familie Kessler und brachte uns beide im Luftschutzkeller in Sicherheit.

Einmarsch der Besatzungsmacht

Ich muss an dieser Stelle anmerken, dass die Gebäude Burgstraße 3 (Kessler) und die nachfolgenden Gebäude (Motorrad Hansche) früher mit einem Torbogen verbunden waren. Als die Besatzungsmacht in den Hinterhof einmarschierte, kam ein Küchentross mit Gulasch-Kanone herein und sie fingen an, eine Kuh und Schweine zu schlachten und zu kochen.

Die Tore zum sogenannten Hinterhof, umrahmt von Gebäude Burgstraße 3/1 und Marktstraße 20, wurden geschlossen. Wir saßen also in der Falle. Meine Mutti ermahnte mich, ich solle auf keinen Fall zum Fenster hinausschauen, geschweige denn das Haus verlassen. Das Gebäude Burgstraße 3/1 hatte einen sehr dunklen Treppenaufgang. Als ich gerade oben auf der Treppe stand, kam eine große, dunkle Gestalt, man sah nur das Weiße der Augen und weiße Zähne, zu mir die Treppe hinaufgestiegen. Ich blieb wie angewurzelt vor Schreck stehen. Es war meine allererste Begegnung im Leben mit einem farbigen Menschen. Meine Mutti zitterte vor Angst um mich, denn dieser Mann nahm mich auf den Arm und setzte mich dann, als er einen Stuhl gefunden hatte, auf seinen Schoß. Der farbige Mann war vom Bataillon de Choque und diese Männer waren alle von sehr großer Statur. Ich hatte deshalb großen Respekt vor ihm.

Ich dachte, das wäre nun mein letztes Stündchen gewesen, aber dann passierte etwas völlig Überraschendes: Er gab mir eine rote Dose Wehrmachtsschokolade (ich kannte sie von meinem Vater) und ich freute mich riesig darüber. Wir Kriegskinder bekamen so etwas nicht oft.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 107107