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"Brauchen verantwortungsvolle Festkultur"

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Ravensburg / sz - Das Jubiläumsbier für die Trommler schmeckt nicht jedem. Wie berichtet, bekommt das Trommlerkorps der Ravensburger Gymnasien zum 150-jährigen Jubiläum sein eigenes Bier ("Trommlerkorps bekommt eigenes Bier", SZ vom 24. April). Die Sonderedition ist ein Projekt von Troko-Fördervereins und Brauerei Leibinger. Doch weil das Rutenfest ohnehin den Ruf eines "kollektiven Besäufnisses" hat, folgt die Kritik nun auf dem Fuße. Rainer Willibald ist Leiter der Caritas-Suchtberatungsstelle in Ravensburg und hat täglich mit Abhängigen zu tun. Ihm missfällt das Jubiläumsbier. Jasmin Bühler hat er erklärt, warum.

Herr Willibald, was halten Sie vom Troko-Bier?

Nichts. Ich frage mich, warum es für die Zielgruppe der 16- bis 18-Jährigen ein eigenes Bier geben muss. Was soll das bringen? Will man die Jugendlichen an Alkohol gewöhnen? Stecken ökonomische Interessen dahinter? Und wenn 50 Cent pro verkaufter Kiste an den Förderverein gehen, dann impliziert das doch die Botschaft: Viel hilft viel.

Apropos "viel": Gerade im Hinblick auf das Komasaufen und die immer jüngeren Betroffenen dürfte Ihnen als Suchtberater das Thema ohnehin ein Dorn im Auge sein.

Gerade der frühe Einstieg und die Gewöhnung an Alkohol sind die Hauptprobleme. Warum werden die Risiken und das Gefährdungspotenzial von Alkohol im Rahmen des Rutenfestes ausgeblendet? Wir blicken seit Jahren mit Sorge auf jugendliche "Vieltrinker", die immer jünger werden. Vor allem auf sie richten wir bei der Suchtprävention unser Augenmerk. Wir haben Projekte und Maßnahmen wie das Halt-Projekt, die unter anderem von Schulen, Betrieben, der Polizei und auch der Stadt flankiert werden. Aber diese Bemühungen bringen wenig, wenn am Rutenfest das Trinken zelebriert wird. Und durch ein eigenes Bier für die Trommler werden diese Präventionsmaßnahmen zudem konterkariert.

Den Trommlern gefällt es, dass sie nun ein eigenes Bier haben.

Ich will nicht als Spaßbremse auftreten, aber aus fachlicher Sicht ist das Troko-Bier für die Jugendlichen ein ganz falsches Signal. Indem Förderverein und Brauerei ein Bier herausbringen, das sie in Heimat und Brauchtum einbetten, animieren sie Jugendliche zum Trinken.

Es gibt mit der Jubiläumsbrause ja auch eine alkoholfreie Variante.

Das ist doch scheinheilig. Können Sie sich etwa ein Trommlerkorps mit Brause vorstellen?

Ein Rutenfest ohne Alkohol wird es aber wahrscheinlich nie geben...

Mit Hinblick auf das Gefährdungspotenzials plädiere ich für einen maßvollen und kontrollierten Umgang mit Alkohol. Das exzessive Rauschtrinken ist am Rutenfest leider weit verbreitet und kann kaum als Vorbild für Jugendliche dienen. Zudem kann das Vieltrinken extreme Auswirkungen haben. Aus Studien wissen wir, dass rund zehn Prozent aller Jugendlichen, die häufig zur Flasche greifen, erheblich gefährdet sind und viele davon später suchtkrank werden.

Haben Sie in der Suchtberatung mit Fällen zu tun, deren Alkoholsucht sich auf das Rutenfest zurückführen lässt?

Ja, etliche unserer Patienten berichten davon, dass sie das Rauschtrinken im Kontext des Rutenfests angefangen haben. Wer einmal gelernt hat, viel zu trinken, der verliert diese – ich sage jetzt mal – "Kompetenz" nicht. Das ist wie Fahrrad fahren, man verlernt es nie. Egal wie viel Zeit vergeht, die Erinnerung daran bleibt. Auch Jahre später. Was als Feierlaune beginnt, kann sich zu einer Suchterkrankung mit allen negativen Auswirkungen entwickeln.

Wo ist die Grenze? Wann wird aus dem Spaß Ernst?

Bedenklich wird es, wenn das Trinken komplett außer Kontrolle gerät und es zum Rausch kommt. Der Spaß hört dann auf, sobald ich mich oder andere in Gefahr bringe. Die Folgen, insbesondere bei Jugendlichen, können enorm sein: Gerät man in eine Schlägerei, kann man schnell vorbestraft sein, was wiederum die Suche nach einer Arbeits- oder Ausbildungsstelle erschwert; genauso kann der Führerschein ganz schnell weg sein. Aber das ist vielen nicht bewusst.

Wer trägt Ihrer Meinung nach die Verantwortung?

Alle Institutionen, die dem Jugendschutz verpflichtet sind: also die Schulen, die Eltern, die Stadt, die Politik – aber auch die Hersteller von alkoholischen Getränken. Was wir brauchen, ist eine verantwortungsvolle Festkultur.


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